16. Februar 2016

Wie Sie Faszien intelligent im Alltag dehnen…

In diesem Blogbeitrag soll es um richtige Dehnung gehen. Vor allem um Dehnung auf der Ebene der Faszien. Schließlich sind fasziale Bindegewebe ursächlich für Verkürzungen und Verspannungen im Körper. Wer seinem Körper mechanisch ausgeführte Übungen mit Kraft und Anstrengung abverlangt, wird auf Dauer keine Geschmeidigkeit erreichen.

Das wird Ihnen jede Ballett-Tänzerin bestätigen, die sich immer wieder stretchen muss und dafür gegen den Widerstand der beteiligten Muskeln ankämpft. Die Muskulatur will nur so lang sein, wie von der menschlichen Anatomie und Physiologie vorgegeben. Deshalb reagiert Muskulatur auf diese Gewalt-Tortur mit Micro-Traumen und Erschöpfungszuständen. Bis dann irgendwann gar nichts mehr geht.

Geschmeidige Bewegung wird weder durch brachiales Stretching oder eine Vielzahl von Übungen erzielt, sondern durch ein Fühlen der beteiligten Muskulatur, durch das Experimentieren mit Bewegungsalternativen und durch das Phänomen des "Gewicht-Spürens". Ohne diese drei Essentials des Körperbewusstseins werden wir trotz gewaltsamer Dehnung immer wieder angespannt und verkürzt sein.

In der Regel können angeblich bewegliche Menschen wie ein dressiertes Zirkuspferdchen nur ihre Übungen gut ausführen. Als Beispiel möge uns das Yoga dienen. Dort sind die Leute in ihren Übungen sehr beweglich. Im Alltag bleibt davon wenig übrig und in der Bewegungsqualität sind sie vom Durchschnittsbürger kaum zu unterscheiden. Das mechanisch-roboterhafte Dehnen ist auch einer der wesentlichen Gründe, warum man immer wieder dehnen muss und schon nach nur wenigen Wochen ohne Training die Beweglichkeit rapide abnimmt. Jeder der Yoga, Tanz oder Kampfsport betreibt, hat dieses Phänomen schon an seinem eigenen Körper gespürt.

Kann neuzeitliches Faszientraining helfen, meine Faszien zu dehnen?

Sie meinen diesen Mix aus wissenschaftlich verbrämtem Kauderwelsch und talentfreien Vorturnern, die angeblich ihre Faszien dehnen? Der tiefe Glaube an Gott ist immer noch realitätsnäher, als der tiefe Glaube an das Faszientraining. So glaubt man dort beispielsweise an frei erfundene myofasziale Leitbahnen. Also wenn es eine Bahn gibt, dann ist es die Deutsche Bahn oder international auch die Taliba(h)n. ;-) Bahn frei möchte man da am liebsten in die Faszien-Welt rufen. Vor allem für den Verstand.

Faszien durchziehen den Körper querbeet. Verzweigen sich, verdicken sich und werden wieder hauchdünn. Die Vorstellung einer oder mehrerer Leitbahnen oder eines Anfangs oder eines Endes einer Faszie im Körper setzt zwingend voraus, dass man zweidimensional nicht von dreidimensional unterscheiden kann. Deswegen kann man Faszien kaum trainieren, so wie es im herkömmlichen Faszientraining gemacht wird. Sondern man kann Faszien immer nur wieder anders ansprechen. Und genau das ist das perfekte Training für Faszien. Es geht um Bewegungsvielfalt und um spontane Bewegungen (ohne Vorturner) aus sich selbst heraus.

Hinzu kommt die Bewegungsqualität. Die hat Vorrang vor Bewegungsquantität. Lieber 10 Schritte richtig gelaufen als 10 Kilometer falsch gejoggt. Lieber die Schulter und den Arm nur 50 Mal am Tag beim Biertrinken richtig bewegt, als 1000 Mal falsch beim Squash. ;-) Übrigens... falls Sie Ihre Frau wieder mal tadelt, weil Sie zu viel Bier trinken, berufen Sie sich doch auf mich. Sagen Sie einfach: Das hat der Demann empfohlen. Das ist gut für mich. Ich muss es nur physiologisch richtig machen. Du solltest mich dafür loben, dass ich endlich mal was für meinen Körper tue ;-)

Bei einigen wenigen Faszien kann man sehr gut Anfang/Ende und Funktion bestimmen. Und ja, manche ziehen sogar in einer Bahn von den Füßen über den Rücken in Richtung Kopf. Weit über 90% der Faszien entziehen sich jedoch völlig einer Systematik. Ich habe Ihnen hier ein Video mit reingepackt. Da können Sie wunderbar sehen, wie dreidimensional Faszien sind, wie sie sich aufzweigen, wieder verbinden oder völlig andere Wege gehen.

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Neben dem theoretischen Unterbau des Faszientrainings gibt es natürlich auch die Praxis. Das bedeutet: Es gibt richtige Menschen, die das alles glauben und sogar danach trainieren. Die Vertreter des Faszientrainings scheuen sich auch nicht, ihr zweifellos nicht vorhandenes Talent auf einer großen Bühne einem staunenden Publikum zu präsentieren.

Wenn wir über Faszien, über Faszientraining und über Fasziendehnung sprechen, gibt es fünf wesentliche Begriffe, die genau das beschreiben:

  • Gravitation
  • Struktur im Körper
  • Ordnung im Körper
  • Elastizität im Körper
  • Funktion im Körper

Und genau diese fünf Termini erfüllt jeder Mensch mit Leben. Ausnahmslos jeder Mitbürger (inkl. mich natürlich) teilt über den Körper seiner Umwelt mit, inwieweit in seinem Körper noch Ordnung und Struktur vorherrschen und wie er sich im Schwerefeld der Erde bewegen kann. Sogar noch mehr als das. Er zeigt durch den Körper, inwieweit noch Ordnung und Struktur in seinem Nervensystem vorherrschen.

Ordnung und Struktur, also eine ausgewogene Körperstruktur, ist DIE Voraussetzung für Funktion im Körper.

Sie werden mir sicher zustimmen: Wenn man Fastenlehrer ist, sollte man selbst schlank sein. Wenn man Mathematiklehrer ist, sollte man selbst rechnen können. Wer als Schwimmlehrer tätig ist, kann in der Regel auch schwimmen. Alles andere wäre unglaubwürdig und ein Armutszeugnis. Wenn man sich schon erkühnt, über Faszien, Faszientraining oder Fasziendehnung zu dozieren, sollte man wenigstens dem Publikum an sich selbst zeigen, dass man weiß wovon man überhaupt redet. Eben durch eine funktionelle und ausgewogene Körperstruktur. Wie man eine Körperstruktur erkennt und interpretiert, hatte ich in diesem Beitrag schon beschrieben.

Weiter unten habe ich ein Video für Sie von einem sogenannten Faszien Summit. Nach meiner Auffassung treffen sich dort alle die, die überhaupt keine Ahnung von Faszien und Bewegung haben. Und so gesehen, ist das tatsächlich der Gipfel. Leider nur des Unvermögens. Der junge Mann, der da über Faszien doziert, ist selbst das beste Negativ-Beispiel für eine deutlich gestörte Struktur im Körper. Frei von jeglicher Ordnung und wunderbar dysfunktionell palavert er über Faszien. Ein Schlagsatz in seinem Video:

Die ganzheitliche Betrachtung des Menschen.

Weil das mein Fachgebiet ist, dachte ich, dann will ich mir diesen Menschen doch mal ganzheitlich betrachten. Ist ja quasi ein Kollege von mir, der auch in Faszien macht. ;-) Sie sollten sich das Video vorsichtshalber nur eine Minute anschauen. ;-) Zum einen wird da nur aus anderen Büchern und Vorträgen zusammengeklaut und der Mix als eigener Erguss verkauft. Zum anderen werden Sie in dieser einen Minute sehen, dass der Dozent seine Knie nur minimal bewegt und seine Beine ganz steif mit einem angespannten Oberschenkel nach vorn bringt. Und falls Sie doch länger dran bleiben wollen: Dass er genau so unphysiologisch mit steifen Beinen rückwärts läuft.

Ebenso spannt er seine Bauchmuskeln bei vielen Bewegungen an und zieht sein Becken am vorderen Rand hoch. Dass er schon in jungen Jahren durch den Zug der Vorderseite einen ausgeprägten Rundrücken hat und seinen Kopf viel zu weit vorn trägt, sieht wohl jeder Laie auch ohne fasziale Kenntnisse. Gerade den Rundrücken und die nach vorn verschobene Position des Kopfes erkennen Sie schon auf dem Vorschaubild des Videos deutlich. Dass der Mann ebenso beide Schultern viel zu weit oben trägt, schreiben wir hier jetzt mal nicht. ;-) Wir verschweigen hier auch, dass seine unflexiblen Bauchmuskeln eine tiefe und physiologisch richtige Atmung verhindern und er deswegen ohne Atemvolumen oberflächlich aus der Kehle spricht. Man muss den jungen Faszien-Nachwuchskünstlern nämlich auch mal eine Chance geben, sich und seine angeblich selbstentwickelte Methode vor Publikum so richtig zu präsentieren. ;-)

Strebsam hat er sogar eine Firma gegründet, die nach eigenen Angaben auf den drei Säulen des Faszientrainings ruht. Das wiederum passt sehr gut zu ihm. Denn hat man jemals etwas Unbeweglicheres gesehen als Säulen? ;-) Nun ja, das sind so die Auswüchse, wie wir sie mittlerweile zuhauf in der Welt der Faszien finden. Ich schätze mittlerweile, dass 99% der Leute, die in Faszien-Training machen, ihr Unvermögen durch ihre eigene Gestalt der Welt mitteilen. Die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher liegen. ;-)

Schade auch, dass Robert Schleip, der Erfinder und Begründer des Faszientrainings, immer mehr auch den Pfad der Seriösität verlässt und mit jeder "Faszie" in das Bett steigt. So hat er zusammen mit dem jungen Mann, dem man einen handfesten Rundrücken attestieren darf, ein Buch über fasziales Krafttraining veröffentlicht. Wenn man denkt, die Talsohle des Niveaus ist erreicht, schaffen es doch die Vertreter des Faszientrainings das kognitive Niveau noch weiter nach unten zu drücken. Bin schon gespannt, wann es in der BILD die "Faszien-Volksrolle" gibt. ;-) Oder in jedem dritten Überraschungs-Ei gibt es die Mini-Faszienrolle zum Sammeln. ;-) Es verwundert uns schon, was heutzutage alles in Verbindung mit Faszien gebracht wird. Faszien-Training, Faszien-Krafttraining, Faszien-Walk... und das alles von Leuten, die gar keine Ahnung von Faszien in Bewegung haben. ;-)

Habe ich doch neulich mein Auto wegen eines Kühlmittelverlustes in die Werkstatt gebracht. Etwas ratlos schauten die Mechaniker drein. Denn sie konnten die Ursache nicht finden. Scherzhafterweise fragte ich: Könnte es an den Faszien liegen? ;-) Schließlich liegt alles an den Faszien. Einer der Mechaniker wusste sogar Bescheid und spielte den Ball zurück: Haben Sie denn auch Ihr Fahrzeug regelmäßig mit der Blackroll gerollt? ;-) Wir haben uns köstlich amüsiert....

Es geht auf keinen Fall darum perfekt zu sein und bei einem Vortag über Faszien einen Edelkörper zu präsentieren. Niemand ist perfekt. Doch wenn Millionen Normalbürger und Büroarbeiter über eine deutlich bessere Struktur und mehr Funktion im Körper verfügen als der obige Faszien-Master himself, da liegt doch einiges im Argen in der Welt der Faszien. Daraus ergeben sich ein paar Fragen: Wollen Sie wirklich bei solchen Möchtegerns ein angebliches "Faszientraining" absolvieren? Möchten Sie sich gar behandeln lassen? Wollen Sie denn am Ende genauso aussehen? Nein? Dann bleiben Sie einfach weg vom Faszientraining! Trainieren Sie stattdessen lieber das physiologisch richtige Bier-Trinken. ;-)

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Mathematik schafft Dehnung im Körper

Es gibt Menschen, die in einzelnen Gelenken sehr beweglich sind, die jedoch diese Teilbeweglichkeit leider nur sehr schlecht in eine Gesamtbeweglichkeit ihres Körpers umsetzen können. Umgekehrt gibt es Menschen mit geringeren Bewegungsmöglichkeiten in den Gelenken, die jedoch bei einer gesamten Bewegung des Körpers sehr geschmeidig und gelenkig ausschauen. Diese Menschen bewegen sich noch gemäß ihres Nervensystems und gemäß der menschlichen Anatomie und Physiologie.

Als Beispiel für kopfgemachtes Dehnen möge uns ein Kampfsportler dienen, der regelmäßig mit althergebrachter Dehnung den Spagat übt und sein Bein bis über den Kopf heben kann. Dazu hat er die Beweglichkeit seines Hüftgelenks um ca. 20% verbessert, durch diese Spezialisierung allerdings andere Körperteile stark vernachlässigt. Die Folgen können nachhaltige gesundheitliche Beeinträchtigungen sein.

So haben zahlreiche "Selbstverteidigungs-Experten" schon in frühen Jahren (unter 50) kaputte Knie und/oder künstliche Hüftgelenke. Falls Sie mal gegen so einen Experten antreten müssen, ein kleiner Tipp: Einige wenige Tritte gegen das Hüftgelenk reichen und der Zement bröckelt... ;-)

Wenn wir schlau sind und rechnen können, erhöhen wir statt der Beweglichkeit in nur einem Gelenk die Beweglichkeit in vielen Gelenken. Und zwar nur um ein einziges winziges Prozent pro Gelenk. Damit steigert sich die Gesamtbeweglichkeit des Körpers um ca. 100% und wir können uns viel geschmeidiger, energiesparender und vitaler bewegen.

Wie lernt man also, seine Beweglichkeit zu nutzen und gewinnbringend zu vergrößern?

Indem man spürt, wie, womit und wo wir den Körper überhaupt bewegen können. Spüren darf dabei keinesfalls mit „Bücherwissen“ verwechselt werden. Wir können beispielsweise wissen, dass die Wirbelsäule aus 33-34 Wirbeln besteht und dass das Hüftgelenk ein Nussgelenk ist. Das erhöht allerdings nicht unsere Beweglichkeit oder unterstützt gelöste Bewegungen. Die einzelnen Wirbel, ihre Gelenke, die sie umgebenden Muskeln und ihr feines Zusammenspiel zu spüren, lässt uns wirklich „erfahren".

Daraus erwächst Können. Ich persönlich halte auch den oftmals zitierten Spruch "Wissen ist Macht" für eine Plattitüde. Ist ein bisschen wie bei den Eunuchen: Wissen genau wie es geht, können es aber nicht. ;-) Nach meiner Einschätzung ist Können sehr viel wichtiger. Gerade auch im Senmotic functional Defence wird einem schnell klar, dass "Wissen" oftmals nur mehr oder weniger Geschwätz ist und Bildung vortäuscht. Im Ernstfall bringt Sie nur das eigene Können weiter.

Je detaillierter man spürt, wo und wie im Körper Bewegung stattfindet, umso größer ist das Potential an Beweglichkeit. Dieses vollständigere und genauere Empfinden des eigenen Körpers ermöglicht eine hochpräzise Bewegungskontrolle. Dadurch stehen dem Gehirn bessere Landkarten und mehr alternative Routen zur Verfügung, um eine Bewegung zu steuern. Körperliche Bewegungen werden feinmotorischer angesteuert und entspannter ausgeführt. Wer seinen Arm bewegt und sein Schultergelenk nur als undefinierbaren Klumpen Muskulatur spürt, wird kaum so beweglich sein wie jemand, der spürt, dass die Armbewegung auch durch das Gleiten des Schulterblattes auf dem rückwärtigen Teil des Brustkorbs ermöglicht wird. Wer mehr Möglichkeiten hat, Bewegung über mehrere Gelenke hinweg zu spüren und durch „Loslassen“ Bewegung entstehen zu lassen, schont auch seine Gelenke, weil kein einzelnes Gelenk die ganze Bewegungsaufgabe allein trägt. Je mehr man eine Bewegung, ihren Ursprung und beteiligte Strukturen fühlen kann, desto mehr Beweglichkeit haben wir zur Verfügung.

Das ist auch ein Teilgebiet in der Senmotic Faszien-Therapie. Nach fast jeder Technik am Klienten befragen wir die Wahrnehmung des Klienten: Liegt eine Schulter jetzt anders auf der Liege? Welche Seite des Beckens liegt jetzt mehr auf? Wohin fließt der Atem auf der linken und auf der rechten Seite? Oder wir lassen den Klient aufstehen: Steht jetzt ein Bein anders unter Ihrem Körper? Wie stehen Sie auf dem linken Fuß und wie auf dem rechten? Mehr vorn? Mehr innen? Mehr außen? Wenn der Klient läuft: Bewegt sich Ihr linker Arm anders als der rechte Arm? Bewegt sich das Becken beim Laufen und wenn ja, wie? Welches Körperteil beginnt beim Gehen? Das Brustbein? Die Knie? Der Kopf? Die Füße?

Es geht darum, dass der Klient wieder ein absolutes Körpergefühl bekommt. In der Senmotic Faszientherapie stellt sich das rasch wieder ein, weil wir erst eine Stellung eines Körperteils an einer Körperhälfte verändern und der Klient die alte Position auf der einen Seite und die manchmal sogar drastisch veränderte neue Position an der anderen Körperhälfte sofort wahrnimmt.

Man sollte sich darüber auch im Klaren sein, dass der Körper immer insgesamt funktioniert. Sie sind ein großes Gelee mit eingelagerten Muskeln und Knochen, die als Verstrebungen und Ansatzpunkte für Muskeln und Faszien dienen. Leider unterbrechen viele Menschen beim Dehnen diese Gesamtheit, indem sie nur einzelne Körperteile übergebührlich dehnen wollen. Sie arbeiten somit gegen die neuronal gesteuerte Funktion ihres eigenen Körpers. Eine Zeit lang, besonders in jungen Jahren, mag das gut gehen. Irgendwann kommt es zu Verletzungen, die in ihrer Intensität immer mehr zunehmen und zu hohem Verschleiß führen. Am bitteren Ende stehen die künstlichen Gelenke und Bandscheiben im Menschen mit Rundrücken.

Ebenso werden die Muskeln in einer bestimmten Reihenfolge neuronal angesteuert. Daraus ergibt sich, dass sich im Körper die großen Gelenke vor den kleinen Gelenken bewegen. Testen Sie es selbst: Tippen Sie mit Ihrem Zeigefinger einfach an die Nase. Ist simpel, nicht wahr? Nun fassen Sie sich entgegen der Funktionsweise Ihres Körpers an die Nase. Ihr Arm hängt dabei entspannt an der Seite Ihres Körpers. Beugen Sie zuerst leicht Ihre Finger, dann beugen Sie leicht die Hand im Handgelenk, anschließend heben Sie den Unterarm, zu guter Letzt folgt der Oberarm. Sicher kommen Sie sich vor wie ein Roboter und Sie werden Mühe haben, Ihre Nase überhaupt auf Anhieb zu treffen. Denn die richtige Reihenfolge lautet nun mal: Oberarm-Unterarm-Hand-Finger. Beim Bewegen der Beine oder auch beim Beugen im Oberkörper ist die richtige Reihenfolge: Hüftgelenk-Kniegelenk-Fußgelenk.

Sehr viele der menschlichen Bewegungen beginnen im Zentrum des Körpers und da vor allem im Hüftgelenk. Von dort laufen die Bewegungen wellenförmig über immer kleinere Gelenke nach oben zu den Händen oder nach unten zu den Füßen. Im Idealfall laufen die Wellen in beide Richtungen. Die meisten Menschen bewegen ihre Hüftgelenke jedoch kaum noch und tragen ihre Hüften und ihr Becken wie einzementiert. Sie gleichen die mangelnde Beweglichkeit in der Regel durch ausschließliche Bewegungen und Beugungen im Oberkörper aus. Rundrücken willkommen, sage ich nur.... Durch diese Bewegungsgewohnheiten entsteht beispielsweise in den meisten Fällen der Rückenschmerz und der Verschleiß in der Wirbelsäule. Wenn man über viele Jahre Körperteile bewegt, die sich gar nicht mit dieser Intensität bewegen dürften, sollte man auch nichts anderes erwarten.;-)

Wirkungsvolle, langfristig unsere Körperstruktur verbessernde Dehnung erreichen wir auch nur relativ passiv. Wir benutzen hierfür keine Muskelkraft oder gar Anspannung. Denn in den seltensten Fällen sind es unsere Muskeln oder Gelenke, die verkürzt oder verspannt sind. Eher manifestieren sich in diesen Bereichen unsere Spannungen und dort fühlen wir sie. Verantwortlich für Unbeweglichkeiten im Körper ist ein faszinierendes Körperorgan, die Faszie. Durch den bewussten Einsatz von Muskelkraft lässt sich eine derbe Faszie leider unmöglich dehnen. Wir müssen dafür viel subtiler arbeiten und Muskeln weitestgehend ausschalten.

Dehnung und Körpergefühl auf der Ebene der Faszien durch "Gewicht spüren".

Haben Sie im Sport oder im Alltag schon mal einen Menschen vom Boden aufgehoben oder ihn beim Aufstehen unterstützt? Das ging relativ einfach nicht wahr? Weil viele Menschen eben angespannt sind und sich fälschlicherweise mit Anstrengung bewegen. Haben Sie schon mal einen bewusstlosen oder volltrunkenen Menschen versucht, vom Boden aufzuheben? Das ist richtig, aber wirklich richtig schwer im Wortsinn. So ein Mensch ist so entspannt, dass seine Körperteile "Gewicht" bekommen haben und dadurch auseinander rücken. Sie greifen unter die Arme und heben den Brustkorb hoch - das Becken liegt immer noch satt auf dem Boden. Ein Zweiter hilft Ihnen und hebt auch die Füße an. Das Becken liegt immer noch schwer wie Blei auf dem Boden.

Dieses Phänomen des "Gewicht-Spürens" dehnt auf der Ebene der Faszien. Körperteile, Gelenke und Bändern rücken auseinander und es entsteht im Körper Raum. Faszien lassen sich eben nur relativ passiv und ohne Anspannung dehnen. Man muss die Muskulatur dabei weitestgehend ausschalten. Denn schließlich spannt die Formveränderung des Muskels bei der Kontraktion auch die ihm umgebende Faszienhülle. Schon allein aus diesem Grund ist das Faszientraining so herrlich sinnfrei.

Als Beispiel für die unterschiedlichen Herangehensweisen möge uns ein Gummiband dienen. Stellen Sie sich vor, Sie ziehen das Gummiband an beiden Enden auseinander. Wenn der Zug verschwindet, wird es sich wieder zusammenziehen. Das können Sie hunderte Male am Tag über Wochen und Monate tun. Das ist die herkömmliche Methode "Dehnung" oder auch das Faszientraining. Wenn Sie wirklich nachhaltige Dehnung wollen, nehmen Sie das Gummiband und hängen Sie es an einem Ende auf. Am anderen Ende befestigen Sie ein kleines Gewicht. Lassen Sie es einfach über ein paar Wochen hängen oder lassen Sie es sanft hin und her pendeln. Danach wird das Gummiband über die Zeit minimal länger werden und trotzdem noch elastisch sein.

Der Arm des Erwachsenen wiegt ca. 5-8 kg. Je nach Körpergewicht und Armumfang. Das Gewicht des Armes zu spüren, wie er satt und schwer an der Seite hängt, dehnt die gesamten Strukturen des Armes einschließlich der Schultern und der oberflächlichen Halsfaszien. Ganz einfach so ohne Training, Stretching und bunte Höschen und Shirts. Das ist das Bewegungsprinzip aller höheren Säugetiere einschließlich der Menschen.

Wer einen Stubentiger zu Hause hat, kennt das Phänomen. Legt sich die Katze auf unseren Bauch und schnurrt vor sich hin, ist das anfangs ganz angenehm. Schon nach wenigen Minuten kann es sehr unangenehm und schwer werden, wenn die Katze sich entspannt. Wenn sie sich einfach "hängen" lässt, immer mehr Gewicht bekommt und sich dadurch passiv dehnt.

Wer sich gut spüren kann, spürt das Gewicht sogar während er den Arm bewegt. Zu spüren, wie das gesamte Bein locker unter dem Körper schwingt und sich dabei das Knie zuerst nach vorn bewegt und der Unterschenkel und der Fuß "Gewicht" bekommen, dehnt langfristig und vor allem bei jeder Bewegung. Das ist es, was wir im Senmotic unter Dehnung der Faszien verstehen. Kein Hopsasa oder irgendwelches aktives Training. Wie bei allen hochentwickelten Tieren ist die fasziale Dehnung automatisch in jeder Bewegung enthalten und in den Alltag integriert. Welches Zebra geht denn zum Stretching? Welcher Vogel versucht, seine Flügel besonders weit nach oben zu bekommen und diese zu dehnen? Welcher Affe geht denn zum Pilates oder zum Yoga?

Damit Sie ein Gefühl dafür bekommen, wie sich Dehnung auf der Ebene der Faszien anfühlt, empfehle ich Ihnen folgende Vorgehensweise: Legen Sie sich in Ihr Bett auf Ihre linke Körperseite. Lassen Sie den linken Unterarm ab dem Ellbogen über die Bettkante hinaus ragen. Schließen Sie Ihre Augen und lenken Sie Ihr Interesse und Ihre innere Wahrnehmung auf Ihre linke Hand. Lassen Sie diese Hand locker an Ihrem Handgelenk baumeln. Versuchen Sie dabei das Gewicht Ihrer Hand zu spüren. Möglicherweise fühlen Sie auch, wie sich Ihre Hand bewegen möchte. Lassen Sie es einfach geschehen. Forcieren Sie nichts mit eigener Muskelkraft. Spielen Sie die Rolle des erstaunten Beobachters. Eventuell verspüren Sie auch ein leichtes Ziehen oder Prickeln in Hand, Handgelenk oder Unterarm. So fühlt es sich an, wenn man auf der Ebene der Faszien dehnt. Es kann auch vorkommen, dass sich Ihre Hand von selbst spannen möchte. Lassen Sie es zu. Alles was von allein passiert, ist authentisch. Ihr Körper weiß viel besser, was er braucht und wie „Er“ es machen muss, damit sich Dehnung einstellt.

Entscheidend für die Dehnung der Faszien ist also erstens ein Gewicht. Damit meine ich das Eigengewicht einzelner Körperteile. Und zweitens eine entspannte und unbeteiligte Skelettmuskulatur. Deshalb geben wir auch den Anfängern für das Lernen im Senmotic functional Defence den Hinweis, sie sollen versuchen das Eigengewicht ihrer Arme, der Beine und vor allem des Beckens zu spüren. Durch das Spüren des Eigengewichts der größeren Strukturen wie dem Becken ist auch eine intensivere Dehnung der Faszien möglich als nur durch das leichte Gewicht einer Hand.

Ein paar Merksätze...

Das wiederholte bewusste Mitverfolgen/Spüren der Muskel- und Gelenkveränderungen und das Dehnen der Faszien durch "Gewicht-Spüren" verbessert unsere Beweglichkeit und Geschmeidigkeit signifikant. Und vor allem nachhaltig bis in das hohe Alter.

Unser Nervensystem erlangt durch diese Unterstützung eine verfeinerte Bewegungskontrolle. Sie sparen eine Menge Zeit, weil die neugewonnene Beweglichkeit augenblicklich im Nervensystem verankert und zu einem permanenten Zustand wird. Ziel ist eine gelöste, kraftvolle Gesamtbeweglichkeit unseres Körpers, die im Alltag bei jeder Bewegung sichtbar wird. Und all die künstlichen sinnfreien Dehnungsmethoden wie Yoga, Stretching, Pilates oder auch Faszientraining überflüssig machen. Wie bei den "doofen" Tieren auch.