22. Juli 2016

Richtig sitzen leicht gemacht…

Richtig sitzen ist eine richtige Kunst. Weil es nur ganz wenige Möbel gibt, welche zum richtigen Sitzen überhaupt die Voraussetzungen mitbringen. Wir haben gerade selbst ein Sitzmöbel mit Experten anderer Disziplinen (Produktdesigner, Materialspezialisten) in der Entwicklung. Deswegen setzen wir uns derzeit in Anatomie und Physiologie nochmals intensiv mit dem korrekten Sitzen auseinander. Obwohl wir da eigentlich schon richtig fit sind.

Dieser Blogbeitrag ist das erweiterte Lastenheft, welches wir den Produktdesignern in die Hand gegeben haben. Damit am Ende auch ein wirklich brauchbarer gesundheitsfördernder Stuhl von uns auf den Markt kommt. Ein Stuhl, der der menschlichen Anatomie und Physiologie wirklich gerecht wird.

Irgendwie ähnelt die Möbelindustrie der Schuhindustrie. Auch dort mussten wir unsere eigenen Schuhe auf den Markt bringen, weil es eben zu 99% nur krankmachende Schuhe fern jeglicher Anatomie zu kaufen gibt. Den gleichen Unsinn finden wir nun auch in der Möbelindustrie.

Deswegen haben wir beschlossen, die Senmotic Möbelwerkstätten zu gründen. Wir beginnen mit einem gesunden Stuhl, später kommt noch ein entsprechender Tisch hinzu. Und zum Schluss kümmern wir uns um das gesunde Schlafen und die Betten. Erfahren Sie nun zuerst in diesem Beitrag, wie Sie richtig sitzen...

Wenn wir über das richtige Sitzen sprechen wollen, müssen wir uns vor allem über das Becken unterhalten. Becken bedeutet "Schale". Und auf dieser Schale sitzen Sie eigentlich. Auch wenn der Volksmund häufig vom "Arsch breit sitzen" spricht, hat das Sitzen mit Ihrem Hinterteil wenig zu tun. Wie so häufig irrt hier die Schwarmintelligenz. Schließlich heißt es ja auch "Volksmund" und nicht "Volkshirn". ;-)

Am Unterteil des Beckens haben Sie zwei knöcherne Kufen oder Schienen. Und genau an dieser Stelle haben Sie eine knöcherne Verdickung, die sogenannten Sitzbeinhöcker. Und wie der Name schon sagt, sollten Sie darauf sitzen.

Allerdings sind die Höcker auch eine wacklige Angelegenheit. Denn das Becken ähnelt im Sitzen etwas einem Ei. Somit steht das Becken immer ein bisschen auf der Kippe und hat die Tendenz über die Höcker nach vorn oder hinten zu rollen. Abhängig ist die Tendenz zum "Rollen" vor allem von der Neigung der Sitzfläche. Ist die Sitzfläche leicht nach hinten geneigt und am hinteren Ende tiefer als am vorderen Rand, rollt das Becken gern nach hinten. So ähnlich wie eine Kugel auf einer schiefen Ebene. Die Wirbelsäule folgt dem Becken und schon hocken Sie mit einem wunderbaren Rundrücken auf Ihrem Stuhl.

Der Schwerpunkt des Körpers verlagert sich ebenfalls rückwärts und das Gewicht Ihres Oberkörpers verlagert sich auf Ihre Lendenwirbelsäule. Sie sitzen dann auf den letzten Wirbeln und den dazwischen liegenden Bandscheiben. Was glauben Sie? Sind diese Strukturen dafür gedacht, dass Sie stundenlang darauf sitzen? Eben....

Neben der Last auf den Bandscheiben, verändert sich auch die Position des Kopfes. Er sitzt nicht mehr über dem Körper, sondern wird weit vor dem Körper gehalten. Das führt dazu, dass der PC am Ende des Schreibtisches stehen kann und trotzdem sitzen die Leute mit ihrem Kopf genau vor dem Monitor. ;-) Auch die Vorderseite des Körpers wird in Mitleidenschaft gezogen. Die faszialen Strukturen der ständig angespannten Bauchmuskeln verkürzen sich und werden hart und unnachgiebig. So eine Sitzhaltung fördert einen ausgeprägten Rundrücken. Hinzu kommt durch die Kauerhaltung ein eingeschränktes Atemvolumen. Das wiederum führt zu einer verringerten Sauerstoffversorgung in den Zellen. Mit einem ständig angespannten Bauch nehmen Sie auch den inneren Organen Raum. Während bei einem physiologisch richtigen Sitzen sich der Bauch beim Einatmen leicht nach außen wölbt und den inneren Organen Platz bietet.

Idealerweise ist die Sitzfläche völlig gerade und oder leicht nach vorn geneigt. Dann rollt das Becken nach vorn und Sie haben eine Lordose in der unteren Wirbelsäule. Die Lordose ist übrigens das evolutionäre Merkmal, welches Sie vom Affen unterscheidet. Wenn Sie also mit einem Rundrücken auf Ihrem Stuhl hocken, stehen Sie evolutionär auf einer Stufe mit unseren nächsten Verwandten. ;-) Rollt das Becken nach vorn, verlagert sich der Schwerpunkt ebenfalls nach vorn, Ihre Füße tragen mehr Körpergewicht und die Belastung des unteren Rückens sinkt signifikant.

Bei einer schräg nach hinten unten verlaufenden Sitzfläche verkürzen sich sogar die Bindegewebe Ihrer Beine. Und da insbesondere die rückwärtigen faszialen Strukturen Ihrer Gehwerkzeuge. Die ischiocruralen Muskeln mit ihren Bindegewebshüllen beginnen am Sitzbeinhöcker. Wenn sich das Becken mit dem oberen Rand nach hinten neigt, dann bewegen sich unter Ihnen die Sitzbeinhöcker entgegengesetzt nach vorn (siehe das obige Bild links). Die Faszien der Hamstrings werden dadurch nicht mehr lang gezogen und verkümmern und verkleben ebenfalls. Und das alles nur, weil die Möbelindustrie Ihnen Sitzmöbel mit einer schräg nach hinten verlaufenden Sitzfläche zur Verfügung stellt. Das eigentlich "Hockmöbel" oder "Verkürzungsmöbel" heißen müsste.

Stühle mit Lehne: Das Schlechteste für Ihren Rücken

Eben weil das Becken auf einer geneigten Sitzfläche nach hinten rollt, gibt es die "Stuhllehne". Die Lehne fängt Ihren Körper auf, verhindert, dass Sie rückwärtig vom Stuhl purzeln. Die Stuhllehne sorgt jedoch auch dafür, dass Sie Ihren Rücken noch unbeweglicher halten und wie ein Block auf dem Stuhl sitzen. Der Körper verliert jegliche Lebendigkeit und zeigt keine Emotionen mehr. Während sich im Stehen beim Lachen der Körper nach hinten oder auch nach vorn biegen kann, lacht auf einem Stuhl nur noch das Gesicht. Bei Veranstaltungen mit Comedians klatschen dazu noch die Hände. Tja, da geht eben die Post ab. ;-)

Weil die Lehne dem Rücken "Haltefunktion" abnimmt, müssen Muskeln nicht mehr arbeiten und verkümmern. Fasziale Strukturen verkürzen und verbacken miteinander. Müssen wir uns dann wundern, wenn viele Schreibtischtäter über Rückenschmerzen klagen?

Deswegen sind Sitze ohne Lehne einem herkömmlichen Bürostuhl vorzuziehen. Nur auf einem Stuhl ohne Lehne bewegt sich der Rücken im Kontext mit allen anderen Körperteilen. Vorausgesetzt, Sie sitzen noch richtig.

Autositze... kauern inklusive

Autositze sind ein weiteres Grundübel unserer Sitzkultur. Zum einen sind gerade in den PKW die Sitzflächen nach hinten geneigt. Und sorgen für einen Rundrücken mit einem vorgeschobenen Kopf. Eigentlich könnten die Hersteller ihre Airba... äh Luftsäcke ;-) viel kleiner fertigen. Der Kopf schwebt eh meistens kurz vor dem Lenkrad.

Hinzu kommen die sogenannten Seitenwangen. Diese seitlichen Ausformungen pressen Ihre Schultern zusammen und nehmen Ihnen die Bewegungsfreiheit Ihrer Arme. Ganz einfacher Test: Strecken Sie auf einem ganz normalen Stuhl Ihren Arm nach hinten aus, so als würden Sie etwas nach hinten legen wollen. Und nun strecken Sie im Autositz Ihren Arm nach hinten aus. Es wird Ihnen misslingen, denn an den ausgeformten Seitenwangen kommt ohne großartigen Verrenkungen kein Arm vorbei. Damit wird die Schulter wie einzementiert gegen den Körper gepresst. Die Form des herkömmlichen Autositzes "formt" die Körperstruktur des Vielfahrers dermaßen, dass dieser Mensch mit jedem gefahrenen Kilometer immer unfunktioneller und unflexibler wird.

Besonders unschön ist es, wenn Autohersteller für Ihre Sitze mit "Von Orthopäden entwickelt" werben. Ich hoffe mal, dass das nur ein Werbegag ist. Ansonsten sollten sich Orthopäden für Orthopäden schämen. ;-) Wobei sich sicher immer mal einer der armen Orthopäden findet, der für einen Obolus seinen Namen darunter setzt. Weil er sonst keinen Namen hat. ;-)

Besonders die Lordosenstütze ist der Running Gag schlechthin. Diese Stütze hat schon unzählige Leute zu einer Bandscheiben-OP verholfen. Sie dürfen sich das so vorstellen: Das Becken und die Wirbelsäule bilden eine Einheit. Verändert sich die Stellung des Beckens, verändert sich zwangsläufig die Stellung der Wirbelsäule. Also wenn das Becken auf einer leicht geneigten Fläche nach hinten rollt, dann folgt die Wirbesäule und die Lordose verschwindet aus dem unteren Rücken. Deswegen wird der Rücken ja auch rund. Anatomisch und physiologisch ist es unmöglich sein Becken nach hinten zu rollen und eine Lordose zu behalten.

Es ist also Schwachfug, bei einer geneigten Sitzfläche mit zurückgerolltem Becken die Lordose stützen zu wollen. Ist die Sitzfläche hingegen nach vorn geneigt, rollt das Becken leicht nach vorn. Dann hat man eine richtige Lordose und ist frei und beweglich im Rücken. Dann wiederum können Sie getrost auf die Lordosenstütze verzichten. ;-)

Wie man (und auch Frau) ;-) richtig sitzt

Abgesehen vom Liegen haben Sie bei 90% aller körperlichen Bewegungen die Füße auf dem Boden. Nur so kann das Körpergewicht ideal in den Boden abgeleitet werden. Und der Körper wird nicht gestaucht. Auch wenn Sie in die Hocke gehen, seit Jahrmillionen das natürliche Sitzen des Menschen, wird auch hier das Körpergewicht auf die Füße übertragen. Nur wenn wir die Übertragung des Körpergewichts auf die Füße durch neuzeitliches Sitzen unterbrechen, kommt es zu Verkürzungen und Stauchungen im Körper. Um dies auch bei neuzeitlichen Sitzmöbeln zu umgehen, gebe ich Ihnen ein paar wichtige Regeln mit auf den Weg. Trockenes Bücherwissen bleibt dabei außen vor. Sie können jeden meiner Hinweise sofort an sich selbst spüren und nachvollziehen. Und somit lebendige Anatomie an sich selbst erfahren.

1. Hüftgelenke müssen beim Sitzen höher liegen als die Kniegelenke

Je höher die Hüftgelenke beim Sitzen über den Knien stehen, umso mehr Körpergewicht wird auf Ihre Füße übertragen. Das bedeutet: Die Belastung des unteren Rückens sinkt signifikant mit der Höhe Ihrer Hüftgelenke. Der Körper wird im Rücken viel weniger gestaucht und die Bandscheiben werden enorm entlastet, weil das Körpergewicht über die Füße abgetragen wird. Sie können das ganz einfach an sich selbst spüren. Setzen Sie sich auf einen gut höherverstellbaren Stuhl und sitzen Sie relativ weit vorn an der Kante. Stellen Sie den Stuhl in der Höhe so ein, dass Ihre Hüftgelenke in einer Linie mit den Kniegelenken stehen. Achten Sie auf Ihre Füße, spüren Sie das Körpergewicht auf Ihren Füßen.

Verstellen Sie den Stuhl nun höher, so dass Ihre Hüftgelenke über den Kniegelenken liegen. Richten Sie Ihr Augenmerk nur auf Ihre Füße. Sie werden bemerken, dass nun deutlich mehr Gewicht auf und über Ihren Füßen liegt. Dass Sie dabei relative flache Schuhe oder gar keine tragen sollten, setzen wir jetzt mal voraus... ;-) Jenseits des "Spürens" können wir die abnehmende Belastung der Füße beim falschen Sitzen messen. Wir müssen die Füße nur auf jeweils eine Waage stellen. Über die Anzeige können Sie verfolgen, wie sich Ihr Körpergewicht mit der Höhe der Hüftgelenke beim Sitzen vom Rücken auf die Füße verschiebt.

2. Sitzen Sie sehr hart

Gehen Sie doch mal über das Wasser... geht nicht? Ja, echt blöd.... Trotzdem danke, dass Sie mitgemacht haben. ;-))) Wasser bietet Ihnen eben keinen Widerstand. Im Sumpf ist die Dichte schon höher. Deswegen versinken Sie dort wesentlich langsamer und Sie können Ihr Ableben deutlich länger und intensiver genießen. ;-) Ein richtig fester Boden bietet Ihnen dagegen soviel Widerstand, dass Sie sich mühelos entgegen der Schwerkraft eines Planeten mit einem Gewicht von 5,977 Tausend Trillionen Tonnen aufrichten können.

Ein harter Widerstand ist also für die Funktion des Körpers unerlässlich. Das Gleiche gilt für das Sitzen. Je weicher, stärker gepolstert und angeblich "bequemer" ein Sitzmöbel ist, umso gesundheitsschädlicher ist es gleichzeitig. Daraus folgt, dass 99% der Sitzmöbelhersteller keine Ahnung vom Sitzen und von ihren Produkten haben. Und die Leute, die das Zeugs kaufen, auch nicht. Beide bedingen einander und bilden eine kognitiv magere Symbiose. ;-)

Also je dicker und weicher ein Sitz gepolstert ist, umso weniger gelingt es dem Körper, sich entgegen der Gravitation aufzurichten. Im Umkehrschluss gilt: Je härter das Sitzmöbel, umso besser gelingt die Aufrichtung. Umso mehr Funktion entsteht und bleibt im Körper erhalten. Ich empfehle sogenannte Formholzstühle. Deren Sitzfläche nur aus Holz ohne jegliche Polsterung besteht. Oder Sie kaufen in einem halben Jahr unseren Gesundheitsstuhl, der gerade in der Entwicklung ist.

Auf jeden Fall sollten Sie auch darauf achten, dass die Sitzfläche des Formholzstuhls gerade ist und nicht nach hinten abfällt. Warum das wichtig ist, habe ich ja weiter oben schon erklärt.

3. Sitzen Sie relativ weit vorn am Stuhlrand

Je weiter hinten Sie sitzen, umso mehr sitzen Sie auf Ihren Beinbizeps. Was meinen Sie...? Ob Ihre Beinbizeps wohl zum Sitzen ausgelegt sind? Ihre rückwärtige Beinmuskulatur wird so zur Untätigkeit erzogen. Sie beginnt zu verhärten, fasziale Strukturen werden umgebaut und die elastischen Anteile werden durch derbe unbewegliche Gewebsschichten ersetzt. Besonders pervers sind auch hier wieder die Autositze. Häufig kann man dort die sogenannte Beinauflage nach vorn verlängern. Die rückwärtige Oberschenkelmuskulatur wird noch mehr abgequetscht und zur Bewegungslosigkeit verurteilt. Stocksteife Beine sind die Folge.

4. Sitzen Sie frei und verzichten Sie auf Lehnen und Armstützen

Nur dann kann sich Ihr Oberkörper bewegen. Und nur dann wird die Wirbelsäule mit den sie umgebenden Muskeln und faszialen Strukturen Ihrer Aufgabe gerecht und verteilt Lasten im Körper. Räumen Sie auch das Telefon, den Drucker oder auch den Papierkorb so weit weg, dass Sie sich immer bewegen müssen, um die Dinge zu erreichen.

5. Wählen Sie Ihr Sitzmöbel noch sorgfältiger aus als Ihre Ehefrau oder den Ehemann ;-)

Wir schätzen, dass 99% der Sitzmöbel gesundheitsschädlich sind. Wobei die Dunkelziffer wesentlich höher liegt. ;-) Ihre Ehefrau und Ihren Ehemann können Sie auswechseln. Wird ja oft auch gemacht und das Verfahren ist erprobt und funktioniert zuverlässig. ;-) Kaputte Bandscheiben und Wirbelkörper, hervorgerufen durch jahrelanges falsches Sitzen auf "Sitzmöbeln", begleiten Sie mit allen schmerzhaften Folgen hingegen ein Leben lang.

Update

Wir haben die neue Möbelmarke Poponaut gegründet. Wir starten mit einem weltweit einmaligen Stuhl zum aktiven Sitzen, dem Poponaut. Durch die Mechanik bewegt sich die Sitzschale genau so dreidimensional im Raum wie das menschliche Becken. Mehr dazu gibt es auf der Webseite unter www.my-popopnaut.com